«Ich glaub', so froh bin ich meinem ganzen Leben nicht gewesen» (S. 44, Z. 30)
Während er in Richtung des Kaffeehauses läuft, verfasst Gustl gedanklich den Inhalt seiner Briefe. Diese will er seiner Cousine Klara, der Steffi, dem Regimentskommando und seinem Freund Kopetzky widmen. Trotz des anfänglichen Eifers, entscheidet er sich dagegen. Nur Kopetzky steht für Gustl in Frage. Dieser solle die Nachricht allen anderen weiterleiten. Die Uhr schlägt viertel vor sieben. Gustl betritt das Kaffeehaus – In Anbetracht der Uhrzeit und der konstanten Änderung seiner Pläne, wird mir sein Vorhaben immer unwahrscheinlicher – Der Kellner begrüsst den Leutnant und fragt ihn, was er gerne bestellen möchte. «Eine Melange mit Haut», erwidert Gustl (S. 42, Z. 39). Mir war nicht bekannt, worum es sich hierbei handelte, also schlug ich es nach. Womöglich bezieht sich Gustl auf die Wiener Melange, welche ein Kaffeegetränk darstellt, das erstmals im Jahre 1830 angeboten wurde (vgl. Wikipedia Melange, 2019). Nachdem Gustl sein bescheidenes Frühstück bestellt hat, setzt er sich an einen Tisch. Er geniesst den Geschmack der Melange, wird jedoch bei seinem letzten Vergnügen durch denselben Kellner gestört. Dieser fragt ihn, ob er schon von den Neuigkeiten betreffs Herrn Habetswallners gehört habe. In Gustl regt sich die Sorge, man wisse bereits von seiner Entehrung der letzten Nacht, denn dies sei der Nachname des besagten Bäckermeisters. Der Kellner teilt ihm jedoch mit, der Schlag habe den Bäckermeister in der Nacht getroffen. Der Tod seines Widersachers versetzt Gustl in einen Zustand vollkommener Verwirrung. Gustl muss zweifach nachfragen, ob diese Aussage stimmt. Der Kellner bestätigt seine Annahme. Der betrübte Leutnant empfindet sogleich ein Gefühl ekstatischer Wonne, verursacht durch das Ableben des Bäckermeisters. Seinen Freudenrausch äussert er dem Kellner gegenüber nicht. Stattdessen versucht Gustl Krokodilstränen zu vergiessen: «Ist aber traurig. Er war doch noch in den besten Jahren.» (S. 44, Z. 21-22). Ich erinnere mich daran, wie ich beim Lesen dieser Passage geschmunzelt und zugleich den Kopf geschüttelt habe – Gustl ist ein wahrer Heuchler, dachte ich. Der Tod des Bäckermeisters entspricht für Gustl dem Erhalt seiner «Satisfaktionsfähigkeit», wodurch er sich seiner Uniform nunmehr wieder würdig fühlt. Er erachtet das Unglück eines anderen als Quelle seines eigenen Glücks. Gustl verschlingt einen Semmel nach dem anderen und bemerkt erst später, dass diese vom Herrn Habetswallner stammen. Seine spitze Bemerkung, «Komisch, wie ich mir da die Semmel einbrock’, die mir der Herr Habetwallner gebacken hat! Schmeckt mir ganz gut, Herr von Habetswallner! Famos!» (S. 45, Z. 7-10), brachte mich weder zum Lachen, noch schüttelte ich den Kopf. Die Hauptfigur Gustl, die ich davor bemitleidet hatte, begann ich fortan zu verabscheuen. Gustl, der vor neuer Lebensfreude strahlt, entschliesst sich, seine alltäglichen Aktivitäten wiederaufzunehmen. Nachdem er seinen Tagesplan klar durchstrukturiert hat, will er seiner Duellforderung mit dem Doktor nachkommen, welcher ihn davor beleidigt hatte (siehe S. 12 und 13). Ob der Leutnant aus diesen Ereignissen eine Lehre gezogen hat?
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«[...] jeder muss einmal durchmachen, der eine früher, der andere später, und Du kommst halt früher dran» (S. 44, Z. 1-3)
Gustl erwacht aus seinem Schlummer und findet sich auf derselben Bank wieder. Sein erster morgendlicher Eindruck sind die angenehme Luft in der Früh, welche in Erinnerungen an seine Vergangenheit hervorrufen. Zunächst war ich deswegen der Auffassung, Gustl habe sich von seiner Irrvorstellung befreit. Meine Annahme wurde jedoch wiederlegt, als er mit seinen Suizid-Plänen weiterfuhr. Zeitgleich erinnert er sich an seine Familie und die Steffi. Gustl erachtet Steffi als ein reines Objekt des Vergnügens und sieht sich nicht bereit, eine emotionale Bindung mit einer Frau einzugehen. Gustl hatte im Verlaufe seines Spazierganges auf dem Wiener Prater den Sachverhalt untersucht und geklärt (siehe S. 32 bis 45), dennoch ist er nicht fähig, den Selbstmord mit Entschlossen- und Sorgenfreiheit zu begehen. Der Leutnant empfindet diesmal, dass der Bäckermeister die alleinige Schuld an der ausgangslosen Situation trage: «Und der Kerl lebt weiter, ruhig weiter, während ich – krepieren muss!» (S. 35, Z. 15-16). Er will sich nicht, aufgrund eines anderen, das Leben nehmen. Stattdessen trifft er den kurzfristigen Entscheid, seinem Freund Kopetzky und dem Regimentskommando, einen Brief zu schreiben, worin er ihnen die Situation gründlich erklärt. Gustl ändert jedoch seine Meinung, da er sich erinnert, dass der entehrende Vorfall ohnehin die Runde machen würde. Er bedenkt wiederum die Konsequenzen seines Suizids, indem er sich die Frage stellt, wer seinen Zug erhalten wird. Dieser Gedanke wird durch einen kurzen Moment der Freude, verursacht durch die aufgehende Frühlingssonne, unterbrochen. Der dadurch in Wonne geratene Gustl, will jedoch sein Vorhaben deswegen nicht abbrechen. Aus der meiner Sicht bringt das ein weiteres Mal seine Unentschlossenheit zur Geltung. Weiterhin macht sich allmählich eine gewisse Angst in Gustl breit. Er vernimmt ein unbehagliches Herzklopfen in seiner Brust, da er sich bewusst geworden ist, dass er in den kommenden Stunden bald sterben muss. Eine realitätsferne Vorstellung entwickelt sich zu einer harten Wahrheit, die er dadurch rechtfertigt, dass jeder irgendwann sterben müsse. Er sei schlichtweg früher dran, behauptet Gustl. Der Leutnant will sich in seinen letzten Stunden wie ein Bürger hofmännischer Art verhalten, also begibt er sich in die Kirche. In dieser vernimmt er den Drang, beichten zu müssen. Ich fand es amüsant, als er behauptet, er habe nie gelernt, wie ordentliches Beten funktioniert. Seine Entscheidung, die Kirche aufzusuchen, nachdem er Monate lang willentlich davon ferngeblieben ist, empfand ich jedoch als heuchlerisch. Gustl ist für mich hiermit ein Charakter, in welchem eine grosse Diskrepanz zwischen Sein und Schein vorliegt. Die Melodie der Orgel erinnert den Leutnant an das Konzert des vorhergehenden Abends, was in ihm ein Unbehagen auslöst. Rasch verlässt er die Gottesstätte und bemerkt ein Gefühl des Hungers. Er begibt sich auf den Weg zum Kaffeehaus, worin er frühstücken möchte – sein letztes Mahl geniessen möchte. Gustl wirkt weitaus weniger aufgewühlt und betroffen, verglichen mit dem vorhergehenden Abend. Der Bäckermeister findet im Rahmen seines Bewusstseinsstrom weitaus weniger Erwähnung, als knapp nach dem Vorfall. Bezugnehmend auf Gott und Kirche, scheint Gustl ein ungläubiger Mensch zu sein. Einerseits beweist der Aufenthalt in Kirche diese Annahme, andererseits bringt er diese säkulare Einstellung mit folgenden Gedanken zur Geltung: «Ah, was! Ist das nicht egal, was nachher geschieht? Ich erfahr’s ja doch nimmer!» (S. 40, Z. 13-14). Darauf besinnt sich Gustl, dass er noch einige Briefe und Anzeigen zu schreiben hat. Ein Vorhaben, welches er davor verworfen, nun aber dennoch wiederaufgreifen will. «Ehre verloren, alles verloren!» (S. 22, Z. 29-30)
Unfähig die Demut zu bewältigten, die ihm die Geste des Bäckermeisters beschert hat, versetzt sich Gustl in einen Zustand des Selbstzweifels und Zornes. Die Tatsache, dass Aussenstehende die Auseinandersetzung vernommen haben könnten, stellt den Leutnant die beachtlichste Sorge dar. Sein Selbstbild und seine Ehre stünden hierdurch in Gefahr, weswegen er bereits wenige Augenblicke danach, erste Rache- und Mordgelüste sowie Selbstmordgedanken äussert. Ich beurteile Gustls Betragen als irrational und übertrieben. Er bleibt seinem eigenen Stolz nicht treu und lässt sich durch Kleinigkeiten verunsichern. Seine Autorität, welche er nur aufgrund seiner Uniform ausstrahlt, geriet dank dem Bäckermeister ins Wankeln. Dass ein schierer Zivilist einem ranghöheren Leutnant derart respektlos begegnet, vermag Gustl nicht zu verkraften (S. 20). Er befürchtet, dass der Vorfall die Runde macht und die Öffentlichkeit davon erfährt (S. 17-18). Nach langem Vorlamentieren entschliesst er sich letztendlich für den Selbstmord, welchen er um vier Uhr nachmittags begehen möchte (S. 19). Mir scheint es, Gustl sei nicht vollends von seinem Entscheid überzeugt. Er lässt sich inmitten der Planung seines Vorhabens, durch Erinnerungen an vergangene Erfahrungen ablenken. Zudem gedenkt Gustl an die Auswirkungen, welche sein Ableben auf seine Nächsten haben könnte. Nach weiteren Momenten des Selbstmitleids ändert er letztendlich die Uhrzeit, um welche er sich umbringen will: «Ha! – also um sieben Uhr!» (S. 27, Z. 1). Kurz darauf beschuldigt er seinen Freund Kopetzky, ihm in diese Lage gebracht zu haben. Ohne die Konzerttickets, welche Kopetzky ihm gegeben hatte, sei es nie zu dieser gekommen. Er sieht sich nicht imstande, seine eigene Schuld einzusehen. Obwohl ich mir bewusst bin, dass es sich hierbei um eine rein fiktive Geschichte handelt, musste ich nach Lesen dieser Passage, meinen Kopf schütteln. Gustl macht sich gewaltige Vorwürfe, lediglich aufgrund einer unbedeutenden Konfrontation, der wahrscheinlich keine Zuschauer beigewohnt hatten. Auf einer Bank am Wiener Prater sitzend, entbehrt sich der Leutnant jeglichen Sinn seines Daseins auf Erden. Er begnügt sich damit, sein Leben am darauffolgenden Tag zu beenden. Gustl schreibt zu diesem Zeitpunkt, der Steffi und anderen Liebschaften sowie dem Vorfall mit dem Bäckermeister keine Bedeutung mehr zu. Sein einziges Bedauern ist es, bislang in keinem Krieg gedient zu haben. Im Anschluss darauf, nickt der betrübte Gustl auf der Bank ein. «Ja, was ist denn? Jetzt muss es doch bald aus sein?» (S. 13, Z. 9)
Die Novelle beginnt mit einem Aufenthalt im Oratorium, worin Lieutenant Gustl seinen Gedanken mehr Aufmerksamkeit widmet als dem eigentlichen Singkonzert. In diesem inneren Monolog äussert er seine sich steigernde Ungeduld und Langeweile, welche ihm die Aufführung bereitet. Es schien mir widersprüchlich, dass Gustl einen Anlass besucht, woraus er keine Freude ziehen kann. Später (S. 9) erfuhr ich jedoch den Grund, weswegen er sich dafür entschieden hatte, zu gehen. Seine derzeitige Partnerin Steffi hatte ihn, aufgrund eines Treffens mit einem anderen Mann, versetzt. In seinem männlichen Stolz gekränkt, sah sich Gustl gedrungen, das Oratorium aufzusuchen Mir war bereits wenige Seiten nach Beginn des Lesens aufgefallen, dass der Leutnant ein selbstüberhebliches, vom Männlichkeitswahn geprägtes Denken pflegt, welches jedoch einer tiefen Unsicherheit unterliegt. Der selbstgefällige Leutnant lässt sich beim Anblick eines hübschen Mädels in seinen Gedankengängen stören. Ich deute seine Neigung, sich mit dem weiblichen Geschlecht übermässig oft auseinanderzusetzten, als eine Gegenmassnahme seines verletzlichen Selbst, um der «ewigen Abschreiberei» Steffis entgegenzuwirken (S.9). Mein Befinden ist auch, dass Gustl nicht imstande ist, eigene Fehler einzusehen. Die Schuld, weswegen er sich am Konzerte langweilen muss, trage einerseits die Steffi und andererseits der Ballert im Kaffeehaus. Dieser habe sich an ihm, nach einer verlorenen Runde Glückspiel, um hundertsechzig Gulden bereichert. Aus Unlust das Kaffeehaus zu betreten, habe er nun «in das blöde Konzert» gehen müssen (S. 10). Es scheint mir, Gustl ziehe seinen Selbstwert rein lediglich aus seiner k.u.k. Uniform. Gustl erinnert sich an ein Gespräch mit einem gewissen Doktor, welche ihm die Frage stellte: «Herr Leutnant, Sie werden mir doch zugeben, dass nicht alle Ihre Kameraden zum Militär gegangen sind, ausschliesslich um das Vaterland zu verteidigen?» (S. 12). Gustl fühlte sich hierdurch in seiner Ehre gekränkt und empfand diese Bemerkung als einen Angriff auf seine Autorität, was für eine selbstunsichere Person spricht. Des Weiteren ist der Lieutenant judenfeindlich eingestellt, wie er durch seine abschätzende Bemerkung betreffs einer Jüdin zum Ausdruck bringt (S. 14). Kurz darauf zerbricht Gustls überhebliche Vorstellung seiner Selbst ein weiteres Mal, als ihn der Bäckermeister in einem Moment der Anmassung zurechtweist. Er greift dem ungeduldigen Gustl an den Säbel, droht ihm diesen zu zerbrechen und nennt ihn letztendlich einen «dummen Buben» S. 15). An sich eine gerechtfertigte, belehrende Geste des Bäckermeisters, welche jedoch den jungen Gustl bald in Verzweiflung bringen wird. |
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